• 1. Juni 2023

Offener Brief der BIG RBF Fachkräfte zur Reform des Abstammungsrechts

Offener Brief der BIG RBF Fachkräfte zur Reform des Abstammungsrechts

Offener Brief der BIG RBF Fachkräfte zur Reform des Abstammungsrechts 882 455 BerTA - Regenbogenfamilien in Stuttgart

Zum Internationalen Kindertag am 01.06 hat die Bundesintereressensgemeinschaft Regenbogenfamilien – Fachkräfte einen offenen Brief an den Bundesminister der Justiz geschrieben. Der Brief kann auch unter: [BIG Homepage] als PDF runtergeladen werden. Gerne verbreiten!

Bundesminister der Justiz
Herrn Dr. Marco Buschmann
Bundesministerium der Justiz
11015 Berlin


Offener Brief der Bundesinteressengemeinschaft Regenbogenfamilien-Fachkräfte zur Reform des
Abstammungsrechts

(Nachrichtlich an die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die fachpolitischen Sprecher*innen der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien)

Berlin, 25.05.2023

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

die Bundesinteressengemeinschaft (BIG) Regenbogenfamilien-Fachkräfte wendet sich heute erneut an Sie. Vor anderthalb Jahren, nach Abschluss des Koalitionsvertrags, gratulierten wir der gesamten Regierung zum erarbeiteten Ergebnis. Der Vertrag benannte sehr viele der Bedarfe der Familien, die wir vertreten, und machte Hoffnung auf ein Abstammungs- und Familienrecht, das endlich die reale Lebensvielfalt der Familien in Deutschland widerspiegelt. Es wurde angekündigt, dass die Reform bis Herbst 2023 abgeschlossen sein würde. Nun ist es Sommer 2023 und wir sehen immer noch keinen Fortschritt bei der Reform des sogenannten Abstammungsrechts. Es liegt noch nicht einmal ein aktueller Referent*innenentwurf vor.


Mit dem derzeitigen Abstammungsrecht werden Kinder aus Regenbogenfamilien rechtlich, finanziell
und sozial benachteiligt, da sie nach der Geburt nur einen rechtlichen Elternteil haben und damit weniger gut abgesichert sind als Kinder aus cisgeschlechtlichen, heterosexuellen Beziehungen. Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf!
Wir möchten den Internationalen Kindertag zum Anlass nehmen, um anhand von Beispielen aus unserer fachlichen Praxis zu verdeutlichen, was der Stillstand bei der Reform des Abstammungsrechts für Kinder aus Regenbogenfamilien bedeuten kann.
Wir zeigen im Folgenden vier Problemfelder auf, die sich aus der bisherigen rechtlichen Situation (als
Status Quo bezeichnet) ergeben und formulieren daraus Lösungen (als Forderungen bezeichnet).

Status quo 1: Bei einem queeren/LSBTIQ* Paar muss der Elternteil, der das Kind nicht geboren hat,
das Kind adoptieren.

Beispiel: Das Kind wird krank und muss mit der nichtleiblichen Mutter ins Krankenhaus. Die
leibliche Mutter ist bei der Arbeit. Der Prozess der Stiefkindadoption ist noch nicht abgeschlossen. Ohne Vollmacht darf die nichtleibliche Mutter keine Entscheidungen treffen und bekommt keine Informationen über den Zustand ihres Kindes.


Beispiel: Ein Elternteil erkrankt schwer, bevor die Stiefkindadoption vollzogen ist. Wenn der
rechtliche Elternteil stirbt, ist das Kind erstmal Vollwaise. Wenn der adoptierende Elternteil
vor Abschluss der Adoption stirbt, bekommt das Kind keine Halbwaisenrente.


Beispiel: Ein lesbisches Paar hat sich kurz nach der Geburt des Kindes getrennt. Während die
leibliche Mutter anfangs noch den Kontakt zwischen Kind und nichtleiblicher Mutter ermöglicht, unterbindet sie diesen nach einigen Monaten gänzlich. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt
noch zu jung, um eigene Bedürfnisse nach Kontakt oder Nicht-Kontakt artikulieren zu können.
Der nichtleiblichen Mutter fehlt es an Möglichkeiten, ihren Wunsch nach der weiteren Ausübung einer Elternrolle rechtlich durchzusetzen.

Forderung 1: Die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung muss angepasst werden. In einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft müssen beide Elternteile automatisch rechtliche Eltern werden können. Bei unverheirateten Paaren muss die Elternschaft unkompliziert vorgeburtlich anerkannt werden können, d.h. analog zur bisher bestehenden Vaterschaftsanerkennung brauchen wir sowohl eine Mutterschaftsanerkennung als auch eine Elternschaftsanerkennung.

Status quo 2: Die gebärende Person wird unabhängig vom Geschlechtseintrag automatisch als „Mutter“ in die Geburtsurkunde eingetragen. Die Samen gebende Person wird als „Vater“ eingetragen oder
muss die Stiefkindadoption durchlaufen. Standesämter handhaben die Eintragung sehr unterschiedlich
und willkürlich.

Beispiel: Ein Standesamt weigert sich, einen leiblichen Elternteil in die Geburtsurkunde einzutragen, da dieser keinen Geschlechtseintrag hat. Das Kind hat dadurch monatelang keinen rechtlichen Elternteil. Somit gibt es kein Elterngeld und auch keinen Kita-Gutschein für das
Kind.
Beispiel: Ein Kind mit einem trans* Vater wird bei der Anmeldung in der Kita durch die Geburtsurkunde gegenüber den Erzieher*innen zwangsgeoutet, da der Name und die Elternbezeichnung in der Geburtsurkunde nicht mit denen des Vaters übereinstimmen. Durch die Reaktionen und das Infragestellen der Geschlechtsidentität des Vaters durch die Erzieher*innen
werden Irritationen für das Kind produziert.


Forderung 2: In der Geburtsurkunde müssen geschlechtsneutrale Bezeichnungen gewählt werden können. Trans* und inter* Eltern und Eltern mit dem Personstand „divers“ oder ohne Geschlechtseintrag
müssen mit ihrem tatsächlichen Namen und der gewünschten Elternbezeichnung in die Geburtsurkunde eingetragen werden können, auch rückwirkend.


Status quo 3: Wenn Personen mit Hilfe einer privaten Samenspende ein Kind zeugen, ist die rechtliche Situation bis zum Vollzug der Stiefkindadoption für alle Beteiligten unsicher.
Beispiel: Ein lesbisches Paar und eine samenspendende Person haben sich darauf geeinigt,
dass diese keine Rechte und keine Pflichten hat. Das Paar trennt sich kurz darauf. Die leibliche Mutter bleibt alleinerziehend und alleiniger rechtlicher Elternteil. Irgendwann beantragt sie Bürgergeld. Das Amt fordert sie auf, den Namen der samenspendenden Person zu nennen und von dieser Unterhalt zu verlangen. Da sich die Mutter aufgrund der Absprachen weigert, wird der Unterhalt von der Sozialleistung abgezogen. Mutter und Kind sind dadurch armutsbetroffen.
Beispiel: Ein privater Samenspender hat die Befürchtung, trotz vorheriger anderslautender Absprachen zu Unterhaltszahlungen herangezogen zu werden und zieht sein Samenspende-Angebot zurück. Das lesbische Paar mit Kinderwunsch kann sich diesen nicht erfüllen, weil die Kosten für die reproduktionsmedizinische Behandlung zu hoch sind. Der Kinderwunsch kann
nicht realisiert werden.
Forderung 3: Es muss in Zukunft eine rechtliche Absicherungsmöglichkeit für Personen geben, die mit Hilfe einer privaten Samenspende eine Familie gründen. Mit einem neuen Rechtsinstrument, einer „Elternschaftsvereinbarung vor Zeugung“ können alle Beteiligten eine rechtsverbindliche Erklärung abgeben, wem eine Elternrolle und damit auch die dazugehörigen Rechte und Pflichten zukommen sollen. Auch private samenspendende Personen sollen in das Samenspenderregister aufgenommen werden können.

Status quo 4: In Deutschland können nur zwei Personen rechtliche Eltern eines Kindes sein.
Beispiel: Ein unverheiratetes schwules Paar und ein lesbisches Paar gründen zusammen eine Familie. Sie alle tragen gemeinsam die Verantwortung für ihr Kind und wechseln sich bei der Betreuung ab. Das Kind soll von der Kita abgeholt werden, weil es Fieber hat. Einer der Väter, der kein rechtlicher Elternteil ist, könnte sein Kind abholen und nach Hause bringen, bekommt aber keinen Kinderkrankentag. Das Kind muss krank warten, bis einer der zwei rechtlichen Elternteile es abholen kann.
Forderung 4: Eine Person, die Verantwortung für ein Kind trägt und dies in einer gemeinsamen Elternschaftsvereinbarung dokumentiert hat, soll auch rechtliche Sicherheit erhalten. Das Kind wiederum soll dieser Person gegenüber Unterhalts-, Erbschafts- und sonstige Ansprüche geltend machen können.

Wir könnten noch zahlreiche weitere Beispiele anführen. Jedes der ausgesuchten Beispiele steht für
unzählige Kinder, deren familiäre Situation vom aktuellen Abstammungs- und Familienrecht nicht oder
ungenügend abgebildet wird. Am Internationalen Kindertag proklamieren wir: Kinder aus Regenbogenfamilien brauchen endlich Gleichbehandlung und rechtliche Sicherheit.
Wir fordern Sie auf, diese durchzusetzen und die Reform unverzüglich auf den Weg zu bringen.
Über einen Termin mit Ihnen zur Klärung fachlicher Nachfragen in einem persönlichen Gespräch würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Bundesinteressengemeinschaft Regenbogenfamilien-Fachkräfte

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